Doing Family

Empfehlungen zur Verbesserung der Familien- und Sozialpolitik

Die folgenden Empfehlungen sind am 27. September 2019 vom Metrorat der Metropolitankonferenz Zürich entgegengenommen worden. Die Empfehlungen «heute und morgen» sind keine politisch ausgehandelten Empfehlungen der Mitglieder der Metropolitankonferenz. Es sind Empfehlungen, die im Rahmen des Projekts Doing Family konsolidiert worden sind.

Die Empfehlungen unterteilen sich in "heute" und "morgen". Die "Empfehlungen heute" zeigen auf, welche Massnahmen zur Verbesserung der Situation von Familien schon seit vielen Jahren von verschiedensten Akteuren gefordert werden, aber bis heute nicht oder nur teilweise umgesetzt worden sind. Die "Empfehlungen morgen" sind Überlegungen in die Zukunft, welche die Diskussion in Politik und Fachkreisen anregen und zum Weiterdenken motivieren sollen.

Die Empfehlungen werden eingeteilt in fünf Handlungsfelder:

  1. Rechtliche Rahmenbedingungen (z.B. Verfassungen und Gesetzgebungen)
  2. Vereinbarkeit von Familie und Beruf (z.B. familienergänzende Betreuungsmöglichkeiten von Menschen mit Betreuungsbedarf wie Kinder, Betagte, Menschen mit Beeinträchtigungen etc.)
  3. Finanzielle Leistungen des Staates (z.B. Kinderzulagen, Hilflosenentschädigungen etc.)
  4. Allgemeine Beratung und Unterstützung (z.B. Mütter- und Väterberatung, Angehörigenkurse etc.)
  5. Kindesschutz und Ergänzende Hilfen zur Erziehung (von Behörden angeordnete Massnahmen wie z.B. Sozialpädagogische Familienhilfen, Besuchsrechtshilfen etc.)

1. Rechtliche Rahmenbedingungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Familien basieren aktuell auf bestimmten Familienformen bzw. Rollen- und Geschlechtermodellen. Sie sollten möglichst zivilstands-, rollen- und geschlechtermodellunabhängig festgelegt werden. Zugrunde liegen soll den Gesetzgebungen ein offenes Familienverständnis, wie es das Projekt Doing Family postuliert. Deshalb empfehlen wir:

Überprüfung und Anpassung der Verfassungen und Gesetzgebungen zugunsten von Rahmenbedingungen für Familien, die zivilstands-, rollen- und geschlechtermodellunabhängigen sind.

Trotz diverser Bemühungen ist die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz noch zögerlich. Zu diesem Schluss kommt der UN-Kinderrechtsausschuss in den Empfehlungen als Antwort auf den dritten, vierten und fünften Staatenbericht der Schweiz. Der Ausschuss spricht in den "Abschliessenden Bemerkungen" (Concluding Observations) aus dem Jahre 2015 von einer unzureichenden Umsetzung. Deshalb empfehlen wir:

Konsequente Umsetzung der Kinderrechte, beispielsweise der Partizipationsrechte durch Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung ihrer Lebensräume.

Handlungsbedarf morgen: Auf die Unterscheidung der Geschlechter soll in allen Verfassungen und Gesetzgebungen für Familien verzichtet werden.

2. Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Aufgrund verschiedener Bedürfnisse der Familien ist ein regional sehr unterschiedlich verfügbarer Flickenteppich an familienergänzenden Betreuungsmöglichkeiten (Mittagstische, Hausaufgabenhilfen etc.) entstanden. Der Organisationsaufwand für Eltern ist sehr gross. Hier braucht es bessere modulare Lösungen, die allen Lebens- und Erwerbsformen gerecht werden. Deshalb empfehlen wir:

Bedarfsorientierte familien- und schulergänzende Betreuungsstrukturen, die von Schule und Betreuungseinrichtungen gemeinsam entwickelt werden.

Familien- und schulergänzende Betreuungsangebote sind oftmals nicht vereinbar mit den situationsbedingten Lebens- und Erwerbsformen von Familien. Beispielsweise beruht die Schule mit dem Ideal des Mittagessens zuhause in der Familie und der folglichen Zweiteilung des Unterrichts in Vormittag und Nachmittag nach wie vor auf der bürgerlichen Kleinfamilie (siehe Henris Familie). Deshalb empfehlen wir:

Schaffen von Rahmenbedingungen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die es ermöglichen, die eigenen situationsbedingten Lebens- und Erwerbsformen zu realisieren.

Handlungsbedarf morgen: Familien- und schulergänzende Betreuungsangebote wie Krippen Horte und Tagesschulen sollen als Teil des öffentlichen Bildungsangebots zum unentgeltlichen Service public gehören.

3. Finanzielle Leistungen des Staates

Da die finanziellen Leistungen des Staates für Familien pro Gemeinde und Kanton unterschiedlich sind, gibt es grossen Handlungsbedarf bei der Vereinheitlichung der Leistungen, damit es nicht zu Ungleichbehandlungen aufgrund des Wohnsitzes kommt. Deshalb empfehlen wir:

Schaffen von interkantonalen Mindestvorgaben bezüglich finanzieller Unterstützungsleistungen des Staates für Familien.

Wie der Forschungsbericht der ZHAW (Teilprojekt A2) zeigt, leisten Familien einen wesentlichen Beitrag zum Bruttoinlandprodukt der Schweiz. Speziell Familien mit Kindern im Vorschulalter sind finanziell stark belastet, da die Eltern oftmals ihre Erwerbsarbeit zugunsten der intensiven Kinderbetreuung in den ersten Jahren reduzieren – oftmals auch, weil sie sich bezalte familienergänzende Kinderbetreuung nicht leisten können. Bei direkten finanziellen Leistungen des Staates können Fehlanreize entstehen (vgl. Referat Prof. Dr. Hannes Schwandt im Rahmen der economix Tagung 2017). Indirekte finanzielle Entlastungen für Familien bis zum Schuleintritt ihrer Kinder (z.B. günstigere Angebote an familienergänzender Betreuung) könnten jedoch dazu beitragen, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Die Eltern könnten beide – auch während der intensiven Familienzeit – an ihrer "employability" (Beschäftigungsfähigkeit) arbeiten bzw. permanent einen Fuss in der Arbeitswelt behalten. Das Konzept "employability" geht davon aus, dass nur wer sich fortlaufend an den Arbeitsmarkt anpassen kann und stets lern- und veränderungsbereit ist, sich auf Dauer am Arbeitsmarkt halten kann. Ein anderer Vorteil wäre beispielsweise der "return on investment": Der Beitrag der Familien an die Gesellschaft durch ihre erhöhte Erwerbstätigkeit und die Beschäftigungsfähigkeit der Eltern würden die Ausgaben des Staates für indirekte finanzielle Entlastungen langfristig wieder wettmachen. Deshalb empfehlen wir:

Indirekte finanzielle Entlastungen für Familien bis zum Schuleintritt ihrer Kinder zugunsten einer qualitativ hochstehenden Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder.

Handlungsbedarf morgen: Es soll eine integrale Familienkasse geschaffen werden, um die einzelnen kommunalen, kantonalen und bundesweiten direkten und indirekten Teilleistungen für Familien zusammenzuführen.

4. Allgemeine Beratung und Unterstützung

Es gibt zahlreiche Studien, die aufzeigen, wie lohnenswert Investitionen in den Frühbereich sind (return on investment). Mittlerweile gibt es deshalb einige Angebote zur frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE). Was aber fehlt, ist eine kommunale bzw. kantonale Strategie, die erstellt und umgesetzt wird. Denn: Je früher Bildungs- und Fördermassnahmen einsetzen, desto höher ist deren Rentabilität. FBBE ermöglicht Einsparungen im Schul-, Jugend- und Erwachsenenalter, beispielsweise durch tiefere Kosten für Fördermassnahmen, Krankheit, Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe (reduzierte Sozialhilfeabhängigkeit) oder Justizmassnahmen (reduzierte Straffälligkeit). Die Steuereinnahmen können aufgrund von besseren Einkommen als Folge höherer Bildungsabschlüsse erhöht werden. Auch Unternehmen profitieren sowohl kurz- als auch langfristig von einer besseren Verfügbarkeit und Qualifikation der Fachkräfte. Deshalb empfehlen wir:

Eine flächendeckende Erstellung und Umsetzung einer umfassenden Strategie zur frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) auf interkantonaler, kantonaler und kommunaler Ebene.

Bildung bzw. Lernen findet nicht nur in der Schule statt. Bildung beschreibt einen Entwicklungsprozess, der das gesamte Leben beinhaltet (Stichwort: Lebenslanges Lernen). Dieses Verständnis von Bildung hat zur Konsequenz, dass Akteure wie beispielsweise Betreuungsorte, Vereine, Museen, Beratungszentren etc. als "Bildungsakteure" bezeichnet werden. Da es bereits zahlreiche Bildungsakteure gibt, besteht das grosse Potenzial darin, diese vielen Akteure zu vernetzen (Stichwort: Bildungslandschaft) und ihre Zusammenarbeit und Kooperation zu stärken. Deshalb empfehlen wir:

Verstärkte kommunale bzw. regionale Vernetzung und Kooperation bzw. Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den verschiedenen Bildungsakteuren.

Handlungsbedarf morgen: Fachpersonen, die Familien beraten und unterstützen, sollen ihre eigenen strukturell normativen Vorstellungen von Familien systematisch reflektieren und in der Beratung konsequent an die Normvorstellungen der jeweiligen Familien anknüpfen.

5. Kindesschutz und ergänzende Hilfen zur Erziehung

Dank der schweizweiten Einführung der KESB im Jahre 2013 wurde der gesamte Kindesschutz professionalisiert. Handlungsbedarf besteht vor allem bei der Früherkennung von Kindeswohlgefährdungen (Prävention). Hierbei sind Schulungen der gesamten Bevölkerung durch die verschiedenen Bildungsakteure notwendig. Ziel ist die Sensibilisierung und das Erhöhen der Handlungsfähigkeit. Deshalb empfehlen wir:

Vermehrte Bildung und Sensibilisierung der gesamten Bevölkerung bezüglich Früherkennung von Kindeswohlgefährdungen.

Handlungsbedarf morgen: Die öffentliche Hand soll vermehrt Massnahmen und Projekte (z.B. Sensibilisierungs- und Schulungsaktionen) zur Förderung von sozialen Netzwerken ergreifen. Ziel soll ein zivilgesellschaftlicher Kindesschutz sein.